Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen
"Und unter Seinen Zeichen ist dies, daß Er Lebensgefährten
erschuf aus euch selber, auf daß ihr Frieden in ihnen
fändet, und Er hat Liebe und Barmherzigkeit zwischen euch
gesetzt. Hierin sind wahrlich Ziechen für ein Volk, das
nachdenkt" (Qur`an Sura 30, Vers 22)
Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen, und die kleinste natürliche Zelle
der Gemeinschaft, aus der sich gleichzeitig alle anderen Formen
entwickeln, ist die Familie. Hier wachsen junge Menschen heran und
erwerben ihre innere Einstellung zum Leben und die
Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen im Umgang mit anderen
Menschen, die sie zum Gesellschaftsleben befähigen. Harmonie oder
Disharmonie im Familienleben wirkt sich nicht nur auf die psychische
Gesundheit des Individuums aus, sondern auch auf Stabilität und Dynamik
der Gesellschaft. Im Islam wird deshalb der Pflege von Ehe und Familie
besondere Beachtung geschenkt. Das islamische Familienrecht hat die
Zielsetzung, ein Familienleben in Frieden und Harmonie zu gewährleisten,
die Verwirklichung von Liebe und Barmherzigkeit zu ermöglichen und
dabei die Rechte von Frauen und Kindern zu schützen.
E h e
Grundlage einer islamischen Eheschließung ist die Bereitschaft eines
Mannes und einer Frau, in Verantwortung füreinander zusammenleben.
Beide Partner müssen die körperliche und geistige Reife zu solch einem
Schritt besitzen. Bei Mädchen, die zum ersten Mal heiraten, ist das
Einverständnis des Vaters oder Vormunds notwendig, damit ihr Recht und
ihr Wohl gewahrt wird. Vom Propheten selbst sind zahlreiche Beispiele
überliefert, wo er in dieser Hinsicht besonders für das
Selbstbestimmungsrecht der jungen Frau eintritt und jeden Mißbrauch und
Zwang scharf verurteilt. Die Eheschließung selbst geschieht durch das
Angebot der Braut (oder ihres Vertreters), die Ehe mit dem betreffenden
Partner einzugehen und durch die Annahmeerklärung des Bräutigams
(oder seines Vertreters). Dies soll vor Zeugen geschehen. Die islamischen
Rechtschulen schreiben die Zeugenschaft entweder vor, oder raten diese
zumindest an. Zuvor wurden in einem Ehevertrag die
Rahmenbedingungen festgelegt, in denen das junge Paar seine
gemeinsame Zukunft gestalten will. Dazu können z.B. der gemeinsame
Wohnsitz, die Fortsetzung einer Berufsausbildung oder ähnliches gehören
- in der Praxis sind Einzelheiten oft von der jeweiligen Rechtstradition oder
der Nationalen Gesetzgebung abhängig. Ein wesentlicher Punkt ist jedoch
immer die Brautgabe (arabisch `mahr`), eine vom Bräutigam an die Braut
zu zahlende Summe, die ihr allein zur Verfügung steht und eine gewisse
finanzielle Eigenständigkeit zusichert (vgl. Sura 4:5). So kann ein
bestimmter Betrag festgelegt werden, der nach Wunsch der Frau zu jeder
Zeit eingefroren werden kann bzw. der Frau bei einer vom Mann
ausgehenden Scheidung ausgezahlt wird. Der muslimischen Gemeinschaft
wird nahegelegt, jedem Menschen ein normales Ehe- und Familienleben
zu ermöglichen und bei Bedarf auch finanziell auch dazu beizutragen.
Nicht erlaubt ist selbstverständlich die Eheschließung mit nahen
Verwandten (Einzelheiten siehe Sura 4:24). Eine Besonderheit des Islam
ist dabei, daß dies nicht nur für Blutsverwandschaft gilt, sondern auch für
Milchverwandschaft, d.h. ein Kind, das von einer Amme gestillt wird, hat
gegenüber ihrem eigenen Kind denselben Status wie ein Bruder oder eine
Schwester.
Empfohlen wird, einen möglichst ebenbürtigen Ehepartner zu suchen, so
daß zu große Unterschiede z.B. im Bildungsniveau oder Lebensstandard
nicht zur Problemquelle für das Paar werden. Der Prophet betonte
besonders, bei der Wahl des Ehepartners auf Gottesfurcht,
Verantwortungsbewußtsein und guten Charakter zu achten. Das
islamische Recht erlaubt daher grundsätzlich keine Mischehen mit
Anhängern anderer Religionen und Ideologien (Sura 2:222). Zu viel
Disharmonie ist bei einer solchen Verbindung zu befürchten. Eine
Ausnahme bildet laut Qur`an (Sura 5:6) die Eheschließung muslimischer
Männer mit Frauen, die einer anderen Schriftreligion angehören. Dabei
müssen der Mann und seine Angehörigen die religiöse Identität der Frau
respektieren. Diese Erlaubnis ist jedoch unter den Bedingungen der
modernen säkularisierten Gesellschaft umstritten. Viele Gelehrte erkennen
heute die Probleme, die sich bei einer solchen Ehe ergeben können, und
raten davon ab, oft mit einem Hinweis darauf, daß die Bedingungen für
die im Qur`an ausgesprochene Erlaubnis in der gegenwärtigen
Gesellschaft nicht mehr vorliegen.
Unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt das islamische Recht einem
Mann, mehr als eine Frau zu heiraten:
"Und wenn ihr fürchtet, ihr würdet nicht gerecht gegen die
Waisen handeln, dann heiratet Frauen, die euch gut
erscheinen, zwei, drei oder vier. Wenn ihr jedoch fürchtet,
ihr könnt nicht gerecht handeln, dann heiratet nur eine."
(Sura 4:4)
Während in vorislamischer Zeit die Mehrehe uneingeschränkt möglich war
und meist als Statussymbol Privilegierter galt, beschränkt das islamische
Gesetz die Anzahl der möglichen Ehefrauen endgültig auf vier und
verbindet damit die Bedingung, die Frauen (und ihre Kinder) gerecht zu
behandeln. Diese Forderung wird aber selbst im Qur´an als schwer
erfüllbar bezeichnet, so daß ausdrücklich die Einehe empfohlen und als
Normalform einer Ehelichen Verbindung angesehen wird. Allerdings
berücksichtigt der Islam jede denkbare soziale Situation wobei die
Mehrehe als Lösungsmöglichkeit für bestimmte gesellschaftliche oder
familiäre Ausnahmefälle gesehen wird, wenn z.B. die Versorgung von
Witwen und Waisen bei Frauenüberschuß oder die eheliche Gemeinschaft
bei einer unheilbaren Krankheit bzw. einer Unfruchtbarkeit der Frau nicht
mehr gewährleistet ist. In der Zeit nach der Schlacht von Uhud, in der
auch die Offenbarung des oben genannten Verses fällt, übernahmen
Zahlreiche muslimische Männer in Medina einschließlich des Propheten
selbst auf diese Weise die Verantwortung für die Witwen und Waisen der
Gefallenen. Die Mehrehe, die in der Regel das Einverständnis der ersten
Frau voraussetzt, wird heute nur noch sehr selten praktiziert.
F a m i l i e
Ehe und Familie sind Grundsteine eines Gefüges, das gegenseitige Rechte
und Pflichten beinhaltet und dem Einzelnen Sicherheit und Geborgenheit
bietet. In der Ehe ergänzen Mann und Frau einander und sind füreinander
unentbehrlich :
"Sie sind euch ein Gewand, und sie sind euch ein Gewand."
(Sura 2:188).
Unterschiedliche Fähigkeiten und Anlagen sollen nicht zu Diskriminierung
und Unterdrückung führen, sondern zu konstruktiver Zusammenarbeit
genutzt werden. Besonders betont wird die Verantwortung der Männer
ihrer Familie gegenüber:
"Die Männer sind verantwortlich gegenüber den Frauen,
insofern als Allah die einen gegenüber den anderen (d.h. die
Männer gegenüber den Frauen und die Frauen gegenüber den
Männern mit jeweils spezifischen Eigenschaften) ausgezeichnet
hat, und insofern als sie von ihrem Vermögen einsetzen."
(Sura 4:35).
Nicht ein Konkurrenzverhalten ist also das islamische ideal, sondern eine
Sinnvolle Arbeitsteilung, die kulturell oder gesellschaftlich bedingt sehr
unterschiedlich aussehen kann, aber immer das
Verantwortungsbewußtsein dem Schöpfer gegenüber zur Grundlage hat,
das sich in gegenseitigem Respekt und Vertrauen niederschlägt. Dazu
gehört auch die Eheliche Treue. Ehebruch ist für Mann und Frau ein gleich
schweres, strafbares Vergehen (Sura 24:3) und Keuschheit für beide ein
erstrebenswertes Ideal (Sura 33:36).
Mann und Frau sind gemeinsam für die Erziehung ihrer Kinder
verantwortlich. Dabei hat naturgemäß die Mutter als erste Bezugsperson
die größten Einflußmöglichkeiten, denn sie prägt durch ihr Verhalten ihr
Kind schon in den ersten Lebensmonaten, wenn nicht bereits vor der
Geburt. Aus diesem Grunde sagte der Prophet : "Das Paradies liegt
unter den Füßen der Mütter". In der islamischen Geschichte waren
sehr oft die Mütter die motivierende Kraft im Leben großer Gelehrter und
Heiliger Menschen, und die Frauen des Propheten waren als "Mütter der
Gläubigen" die Erzieherinnen der islamischen Gemeinschaft.
Die Väter werden oft diejenigen sein, die die Mittel für die Erziehung und
Ausbildung ihrer Kinder bereitstellen. Ihnen legt der Prophet nahe, für
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eine gute Erziehung Sorge zu tragen. Umgekehrt sind Kinder ebenso für
das Wohl ihrer Eltern verantwortlich. Sie sind nicht nur zum materiellen
Unterhalt ihrer Eltern verpflichtet, sondern auch zu Liebe und Respekt
ihnen gegenüber (Sura 17:24-25). Auch hier steht die Mutter im
Vordergrund (Sura 31;15-16). Die Verantwortlichkeit erstreckt sich auch
auf andere Verwandte, wenn diese in Not geraten, sowie auf die Nachbarn
(Sura 4:379). In jedem Falle ist nicht von materieller Hilfe allein die Rede,
sondern von echter, aufrichtiger Zuwendung. Soweit die Hauptlast der
finanziellen Verpflichtungen (Brautgabe, Unterhalt für die Familie,
Erziehung der Kinder) bei den männlichen Familienangehörigen liegt, ist
es nur echt und billig, wenn diese beispielsweise bei der Erbteilung
berücksichtigt wird, indem in der Regel männliche Verwandte einen
doppelt so großen Anteil erhalten wie weibliche. Das islamische Recht zielt
darauf ab, hier jede Ungerechtigkeit zu vermeiden
S c h e i d u n g
Der Prophet sagte : "Von allen Dingen, die Allah erlaubt hat, ist
Ehescheidung das, was er am meisten verabscheut." Bei
Streitigkeiten in der Ehe sind im Qur`an verschiedene Möglichkeiten
gegeben, eine Versöhnung herbeizuführen. So kann z.B. der Versuch
gemacht werden, durch je eine Vertrauensperson aus seiner und ihrer
Familie eine Schlichtung zu bewirken (Sura 4:36) oder einen annehmbaren
Kompromiß zu schließen. Es wäre jedoch nicht sinnvoll, ein Paar zur
Fortsetzung einer untragbar gewordenen Ehe zu zwingen. Für diesen Fall
sieht das islamische Recht die Scheidung vor und regelt Einzelfragen, um
Ungerechtigkeit und Willkür zu verhindern.
Der Scheidung auf Initiative des Mannes folgt eine Wartezeit, in der eine
Versöhnung das Eintreten der Rechtswirksamkeit verhindern kann. Beim
dritten Mal ist eine solche Scheidung jedoch endgültig (Sura 2:227-233).
Die unwiderruflilch geschiedene Frau erhält vom Mann eine Abfindung
(s.o.) und die Unterhaltskosten während der Wartezeit. In Bezug auf eine
zukünftige Eheschließung hat die Frau volles Selbstbestimmungsrecht. Bei
der Scheidung auf Initiative der Frau gibt sie als Abfindung die Brautgabe
oder einen vereinbarten Teil ihres Vermögens zurück (Sura 2:230). Eine
Ehe kann auch im gegenseitigen Einverständnis aufgelöst werden, wenn
die Partner darüber einig sind, daß sie nicht zusammenpassen. In vielen
Fällen wird jedoch keine Einstimmigkeit herrschen, so daß ein Gericht den
Fall untersuchen und eine endgültige Entscheidung treffen muß.
Durch gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung haben sich innerhalb
der islamischen Gemeinschaft verschiedene Rechtstraditionen gebildet, die
in Einzelfragen manchmal geringfügig voneinander abweichen.
Gelegentlich sind auch lokale Vorstellungen, Sitten und Gebräuche
Faktoren, die gewisse Akzente setzen - nicht immer in völliger
Übereinstimmung mit dem Ideal von Qur`an und Sunna. Letzteres gilt
verstärkt auch für die nationale Gesetzgebung vieler sogenannter
islamischer Länder, die in einigen Fällen sogar direkt dem Geist des
islamischen Gesetzes widerspricht. Gerade bei Einzelproblemen ist es nicht
einfach, dabei genau zu differenzieren.